«Wir müssen eine Sprache schaffen, die alle anspricht»

Autorin: Nicole

Diversität und Inklusion fängt bei der Sprache an, davon ist Nadia Fischer, Mit-Gründerin von Witty Works und Gewinnerin der Preise «Leader des Jahres 2020» und «Fembizswiss Award», überzeugt. Gemeinsam mit zwei Kolleg*innen hat sie deshalb den «Diversifier» entwickelt. Ein Online Tool, das Jobinserate scannt, genderneutral umformuliert und so einen massiv grösseren Talentpool anspricht.

WeTalents: Das Thema Diversität hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erhalten. Merkst du etwas davon, wenn du Schweizer Jobinserate liest?

Nadia Fischer: Viele reden darüber, die wenigsten machen tatsächlich etwas. Das merkt man unter anderem daran, dass die meisten Unternehmen dafür immer noch kein Budget einplanen. Oder sie schieben das Thema einfach an die HR-Verantwortlichen ab, ohne ihnen dafür genügend Zeitressourcen zur Verfügung zu stellen. So glauben dann auch viele, dass es mit einem «(m/w/d)» oder einem Genderstern im Jobtitel getan ist. 

Der Genderstern ärgert immer noch viele Menschen. Sie sind überzeugt, er bringt nichts ausser der Verhunzung der deutschen Sprache. Wie siehst du das?

Unser Gehirn erstellt unbewusst Bilder: Wenn man etwa das Wort «Teamleiter» liest, sieht man automatisch einen Mann vor sich. Bei der Formulierung «Teamleiterin oder Teamleiter» kommen unterbewusst plötzlich beide Geschlechter für die Rolle infrage. Ich bin davon überzeugt, dass man mit Sprache die Welt verändern kann. Wir müssen deshalb eine neue Sprache schaffen, die alle anspricht und ein Gefühl der Zugehörigkeit schafft.

Was also geht in den meisten Stelleninseraten schief?

Untersuchungen in Deutschland, den USA und in China haben gezeigt, dass Frauen und Männer die Wortwahl in Jobanzeigen ganz unterschiedlich interpretieren. Das lässt sich auf unsere Sozialisierung zurückführen. Vereinfacht zusammengefasst werden Buben darin gefördert, sich kompetitiv zu verhalten; und Mädchen darin, sich kooperativ zu verhalten. Daher wirken kompetitive Wörter auf Bewerberinnen abschreckend, während sie auf männliche Kandidaten einladend wirken. Eine Untersuchung in England hat zudem gezeigt, dass die Sprache in Stellenanzeigen zu 70 Prozent männlich konnotiert ist. Daraufhin wurde auf einer Jobplattform der einen Hälfte der Besucher:innen ein reguläres Inserat gezeigt, der anderen Hälfte ein für Frauen optimiertes Inserat.

Was kam dabei heraus?

Auf das optimierte Inserat haben sich 40 Prozent mehr Frauen beworben als auf das reguläre.

Welche Formulierungen wirken auf Frauen abschreckend?

Der Begriff «Experte» zum Beispiel schreckt viele kompetente Frauen ab, weil sie sich selber nicht als Experten bezeichnen. Besser ist es, konkret zu beschreiben, welches Fachwissen für den Job benötigt wird. Aufgrund der bereits erwähnten Sozialisierung wirken sich kompetitive Formulierungen auf die Zahl weiblicher Bewerberinnen ebenfalls negativ aus. Nutzt man in Anzeigen Adjektive wie «ehrgeizig», «anspruchsvoll», «ausdauernd» oder «dominant», werden sich Frauen eher zurückziehen.

Frauen bewerben sich erst, wenn sie glauben, 90 Prozent der Anforderungen zu erfüllen, Männer hingegen schon bei einer Deckung von 50 bis 60 Prozent. Welche Schlüsse müssen HR-Verantwortliche daraus ziehen?

Wir empfehlen, nicht mehr als vier Anforderungen aufzulisten. Bei jeder zusätzlichen Anforderung schalten Frauen ab. Wenn Frauen glauben, bestimmte Anforderungen nicht zu erfüllen, bewerben sie sich selbst dann nicht, wenn sie für den Job qualifiziert wären. Viele Männer nehmen die Anforderungen hingegen nicht so genau und bewerben sich trotzdem.

Was müssen HR-Expert*innen bei der Struktur der Stelleninserate berücksichtigen?

Stelleninserate sollten unbedingt mit einer präzisen Beschreibung der Rolle beginnen. Hier vergeben viele Unternehmen eine Chance, eine Geschichte zu erzählen und Talents so zu erlauben, eine emotionale Bindung zum ausgeschriebenen Job aufzubauen. Bei der Firmenbeschreibung sehe ich viele generische Formulierung wie «Wir bieten flache Hierarchien und schnelle Dienstwege». Solche Worthülsen kann man sich sparen. Insbesondere KMU würden gut daran tun, etwas mehr Energie in die Umschreibung ihrer Unternehmenskultur zu investieren, denn genau damit können sie bei den Talents punkten.

Du hast mit Witty Works den Diversifier entwickelt. Warum brauchts zur Formulierung genderneutraler Jobinserate ein Tool?

Die Sprache, die wir wählen, ist nicht neutral, sondern hat – das zeigen zahlreiche Studien – viel mit unbewussten Vorurteilen zu tun. Genau hier liegt die Schwierigkeit: Etwas «Unbewusstes» zu verbessern, ist überaus schwierig und braucht viel Zeit. Zudem entwickelt sich Sprache ständig weiter. Was heute in Ordnung ist, könnte nächste Woche schon kritisch begutachtet werden. Wir haben deshalb den Diversifier gebaut, der deutsche, französische und englische Stellenanzeigen prüft, ungünstige Formulierungen markiert und Verbesserungen vorschlägt. Firmen, die den Diversifier nutzen, konnten die Bewerberinnenquote um bis zu 66 Prozent steigern.

Und was bringt das konkret?

Diversität ist nicht nur ein hübscher Werbeslogan oder ein soziales Ziel, sondern lohnt sich auch wirtschaftlich. Erstens kann ein Unternehmen so aus einem massiv grösseren Pool an Talenten auswählen. Zweitens zahlt sich Diversität in Unternehmen aus. So geht eine hohe Geschlechterdiversität mit einer um 25 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit einher, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Zieht man den Faktor ethnische Diversität heran, betragt der Wert sogar 36 Prozent.

Freelancer*innen und Unternehmen matchen sich auf We Talents. Auf We Talents findest du Freelancer*innen in 21 verschiedenen Skill-Kategorien.